Warum altern Lithium-Schwefel-Batterien noch zu schnell?

Aufbau der für die Messungen verwendeten, modifizierten Lithium-Schwefel-Batteriezellen, mit denen die gelösten Polysulfide am Pluspol (Kathode, links) und am Minuspol (Anode, rechts) untersucht wurden: Das Loch im Zellgehäuse gewährleistet die Transmission der Strahlung in und aus der Zelle. Das Loch im Plus- und Minuspol sorgt dafür, dass nur die im Elektrolyten gelösten Polysulfide untersucht werden.

PTB-Messungen im laufenden Betrieb geben Einblick in atomare Vorgänge bei verschiedenen Ladezuständen.

Mit der Elektromobilität nimmt auch die Suche nach Alternativen zu den klassischen Lithium-Ionen-Batterien Fahrt auf. Eine der Kandidatinnen heißt Lithium-Schwefel-Batterie. Um herauszufinden, warum dieser Typ Batterie noch nicht seine maximal mögliche Kapazität und Lebensdauer erreicht, wurde in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ein Messsystem entwickelt, das im laufenden Betrieb der Batterie eingesetzt werden kann. Damit wurde ein möglicher Grund für die unerwünschte Alterung ermittelt: Polysulfide, kettenförmige Moleküle aus Lithium und Schwefel, die sich am Minuspol anreichern, sodass immer weniger Lithium und Schwefel für die Energiespeicherung zur Verfügung steht. Die Bewegung und Anreicherung der Polysulfide konnte mit zwei hochmodernen Analysemethoden mit Röntgenstrahlung der Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II in Berlin molekülspezifisch beobachtet und dem jeweiligen Ladezustand zugeordnet werden. Die Messungen lassen den Schluss zu, dass die Entwicklung und Verwendung von polysulfid-undurchlässigen Separatoren in solchen Batterien die Lebensdauer erhöhen können. Die Ergebnisse sind im Journal of Materials Chemistry A veröffentlicht.

Leistungsfähigen, wiederaufladbaren Batterien (Akkumulatoren, kurz Akkus) kommt eine Schlüsselrolle im Rahmen der Energiewende zu, z. B. als stationäre Zwischenspeicher für Energie aus erneuerbaren Energiequellen oder in Elektroautos zur Verdrängung fossiler Energieträger. Für diese Anwendungsgebiete kommen die derzeitigen Lithium-Ionen-Batterien hinsichtlich Kapazität und Lebensdauer an ihre Grenzen. Außerdem werden oft teure und toxische Rohstoffe eingesetzt, die teilweise unter fragwürdigen Bedingungen abgebaut werden. Deshalb werden alternative, umweltfreundliche Batterietypen mit höherer Kapazität und längerer Lebensdauer benötigt, zu denen potenziell die Lithium-Schwefel-Batterie gehört. Eine solche Batteriezelle mit Lithium als Minuspol(Anoden-)Material und Schwefel- als Pluspol(Kathoden)-Material hat mehrere Vorteile: Schwefel ist preiswert, umweltfreundlich und reichlich vorhanden. Und die theoretische Energiedichte einer solchen Zelle liegt aufgrund der leichten Elemente bei bis zu 2500 Wh/kg, was signifikant höher ist als bei Lithium-Ionen-Batterien. Doch bisher konnte nur rund ein Viertel der theoretisch erreichbaren Energiedichte realisiert werden, und die Batterien dieser Art altern zu schnell, sodass die von der Industrie geforderten mindestens 1000 Ladezyklen derzeit noch nicht erreicht werden können.

Auf der Suche nach Gründen für den schnellen Rückgang der Kapazität standen die Polysulfide im Fokus. Polysulfide sind kettenförmige Moleküle, die aus Lithium und Schwefel bestehen, also genau jenen Elementen, die für die Energiespeicherung in diesem Batterietyp zuständig sind. Wenn sich die Polysulfide im Elektrolyten lösen, so geht der Anteil Lithium und Schwefel für die Energiespeicherung verloren, und folglich sinkt die Kapazität. Sie bilden sich während des Batteriebetriebs am Pluspol, lösen sich im Elektrolyten und wandern zum Minuspol. Beim Wiederaufladen müssen sie an den Pluspol zurückwandern; aber das klappt nicht vollständig. Die Polysulfide reichern sich mit zunehmender Zyklenzahl am Minuspol an. Am Pluspol steht somit immer weniger Schwefel zur Verfügung, was sich in abnehmender Kapazität niederschlägt. Mit dem in der PTB entwickelten Verfahren konnte jetzt erstmals molekülspezifisch erfasst werden, bei welchem Lade- und Entladezustand sich wie viele Polysulfide im Elektrolyten an den beiden Polen befinden. Dazu setzten die Wissenschaftler an der Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II in Berlin die Nahkanten-Absorptionsfeinstruktur-Analyse (NEXAFS) sowie referenzprobenfreie Quantifizierung mit Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) für das Element Schwefel ein. Die Verfahren sind sehr genau, rückführbar auf das Internationale Einheitensystem (SI) und kommen ohne Referenzmaterial aus.

Neben dem prozentualen Verlust des kathodischen (also Pluspol-) Aktivmaterials Schwefel für verschiedene Ladezustände konnten die Wissenschaftler die Veränderung der Moleküllänge der Polysulfide bestimmen, die sowohl Löslichkeit als auch Reaktivität maßgeblich beeinflusst. Durch die Untersuchung an beiden Elektrodenseiten konnte der Shuttle-Effekt, also die Bewegung der Polysulfide zwischen den Elektroden, und insbesondere die Akkumulation am Minuspol für fortschreitende Zyklenzahl beobachtet werden. Diese zeitaufgelösten Messungen im laufenden Betrieb der Zelle (Operando-Modus) ermöglichen eine Zuordnung von Veränderungen auf atomarer Ebene zu den elektrischen Eigenschaften der Batterie. 

Die Messungen ergaben, dass nicht primär die Bildung der Polysulfide, sondern ihre Bewegung und Ablagerung am Minuspol für den Rückgang der Zellkapazität verantwortlich ist. Dies führt zu neuen Strategien im Zelldesign, zum Beispiel zum Einsatz von polysulfid-undurchlässigen Separatoren.
es/ptb


Ansprechpartnerin
Dr. Claudia Zech, Arbeitsgruppe 7.24 Röntgenspektrometrie, Telefon: (030) 3481-7179, claudia.zech(at)ptb.de


Die wissenschaftliche Veröffentlichung
C. Zech, P. Hönicke, Y. Kayser, S. Risse, O. Grätz, M. Stamm, B. Beckhoff: Polysulfide driven degradation in lithium-sulfur batteries during cycling – quantitative and high time-resolution operando X-ray absorption study for dissolved polysulfides probed at both electrode sides. Journal of Materials Chemistry A, https://doi.org/10.1039/D0TA12011A

Autor: Erika Schow

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